Wissenschaft über Poker: Unterschiede im Denkprozess zwischen Spielern unterschiedlicher Niveaus

In der Serie über die Wissenschaft des Pokers werden wir wissenschaftliche Studien besprechen, die in bekannten Zeitschriften aus den Bereichen Psychologie, Mathematik und IT veröffentlicht wurden. Ziel dieser Artikel ist es, die in den Studien enthüllten Informationen verständlich und nützlich darzustellen.

Dieses Mal werden wir einen Artikel aus der Zeitschrift „High Ability Studies“ untersuchen – „Decision-making and thought processes among poker players“. Die Autoren des Artikels, Joseph St. Germain und Gershon Tenenbaum, untersuchten die Unterschiede im Denkprozess von Pokerspielern unterschiedlicher Spielstärke bei der Entscheidungsfindung während des Spiels.

Die Forscher teilten 45 Teilnehmer in drei Gruppen nach ihren Fähigkeiten ein – Experten, regelmäßige Spieler und Anfänger. Alle drei Gruppen spielten jeweils 60 Hände, die für jede Gruppe identisch waren. Gespielt wurde gegen einen Computer, der unabhängig vom Spielniveau des Spielers agierte.

Die Forscher maßen auch den EV und den Gesamtprofit, aber diese Ergebnisse werden niemanden überraschen – die Experten hatten den höchsten EV und verdienten am meisten, die regelmäßigen Spieler waren die zweitbesten, und die Anfänger landeten auf dem letzten Platz.

Unterschiede im Denkprozess

Die Experten hatten während der Studie die meisten pokerbezogenen Gedanken (3012). Die regelmäßigen Spieler lagen mit 2500 Gedanken nur knapp hinter den Experten, während die Anfänger fast dreimal weniger Gedanken hatten als die erfahrensten Spieler (1412).

Natürlich sagt die bloße Anzahl der Gedanken nichts über die Qualität des Spiels aus. Die Forscher kategorisierten die Gedanken in 5 Bereiche:

  1. Verhalten des Gegners,
  2. Einfache Gedanken über Poker (Handstärke),
  3. Komplexe Gedanken über Poker (Pot Odds, Handranges, Position, Bankkontrolle, Trockenheit/Nässe des Boards),
  4. Gedanken über sich selbst (Tischimage, Intuition, Verbergen der Handstärke, Aktionen in zukünftigen Straßen)
  5. Sonstiges (Wunsch weiterzuspielen, Glücksgefühl, Unwissenheit, was zu tun ist, Lieblings- oder nichtlieblingshand, Angst vor Bet/Raise, Wut, Gedanken, die nichts mit Poker zu tun haben).

Der Gedankengang wurde in jeder Situation und Straße (Pre-Flop, Flop, Turn und River) verfolgt. Die Experten dachten hauptsächlich an Gedanken der Kategorien 2 und 3, die regelmäßigen Spieler an Gedanken der Kategorien 1-3, und die Anfänger an Gedanken der Kategorien 1 und 5. Die Anfänger begannen erst in Riversituationen über die Aktionen des Gegners nachzudenken. Ein Großteil der Gedanken der Anfänger war nicht mit effektivem Spiel verbunden (meistens Neugier oder Glücksgefühl).

Eine der interessantesten Beobachtungen in dieser Studie ist, dass Anfänger erst in Riversituationen über das Verhalten des Gegners nachdenken.

Schlussfolgerungen

Die wissenschaftliche Literatur zieht normalerweise Schlussfolgerungen, die für die Wissenschaft selbst relevant sind, aber für Pokerspieler könnte es interessanter sein, wie wir die wissenschaftlichen Erkenntnisse im Spiel anwenden können. Der wichtigste Bereich für jeden Profi ist das Spiel gegen Fische oder Anfänger. Aus dem Denkprozess können wir einige Dinge ableiten:

  1. Anfänger werden zu oft auf Bets mit allen möglichen Draws antworten und die Größe der Bets nicht berücksichtigen. Neugier und Glücksgefühl treten meist in solchen Situationen auf, daher kann man bei einem nassen Board und einer starken Hand die Bet-Größe ruhig erhöhen.
  2. Anfänger beginnen erst in Riversituationen über die Aktionen der Gegner nachzudenken. Das bedeutet zwei Dinge – Anfänger werden zu oft auf Value-Bets am River callen und es wird einfacher sein, sie zu Bluffen. Gute Pokerspieler können Bluffs leichter auffangen, indem sie den gesamten Verlauf des Boards im Gedächtnis behalten, was Anfänger nicht können.
  3. Im Lernbereich können wir feststellen, dass Experten fast nicht mehr über die Stärke ihrer Hand nachdenken. Dieses Verständnis können wir mit dem Konzept des absoluten versus relativen Handwerts untermauern. Dieses Konzept wird vom Trainer RoundMidnight in diesem Video behandelt.

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